Die Trilogie aus Norwegen - Oslo Stories !
... zum Bundesstart ab 17. April 2025 im Cosima !
Im mittleren Teil seiner Trilogie "Oslo Stories" variiert der norwegische Autor und Regisseur Dag Johan Haugerud Beziehungsmodelle und hinterfragt, inwiefern die traditionellen Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen hetereo- und homosexuellen Paaren in der modernen, progressiven Welt noch Berechtigung haben. Ein sehr redseliger, aber auch feinsinniger Film.
Kjærlighet
Norwegen 2024
Regie & Buch: Dag Johan Haugerud
Darsteller: Andrea Bræin Hovig, Tayo Cittadella Jacobsen, Marte Engebrigtsen, Lars Jacob Holm, Thomas Gullestad
Länge: 119 Minuten
FILMKRITIK:
Es beginnt an einem Ort, der kaum weniger sinnlich sein könnte: Ein Behandlungsraum in einem Krankenhaus, ausgerechnet die Urologie. Hier erfahren Männer, dass sie Prostatakrebs haben. Und auch wenn die Ärztin Marianne (Andrea Bræin Hovig) sich um Optimismus bemüht trifft die Nachricht, zukünftig vielleicht nicht mehr zu Erektionen fähig zu sein, natürlich hart. Bei den Gesprächen sitzt der Krankenpfleger Tor (Tayo Cittadella Jacobsen) im Hintergrund, hört zu, bemüht sich, den Patienten Trost zu spenden.
Später, auf einer Fähre zwischen dem Festland Oslos und den der norwegischen Hauptstadt vorgelagerten Fjorden, begegnen sich Marianne und Tor wieder. Sie kommen ins Gespräch, man mag an den Beginn einer erotischen Begegnung denken, doch schnell stellt sich heraus, dass Tor homo- und Marianne heterosexuell ist. Tor berichtet, dass er die Fähre gerne als Ort benutzt, um Männer kennenzulernen, für schnellen Sex, nicht mehr. An einer Beziehung ist er nicht interessiert, ein Konzept, das Marianne fasziniert. Sie kommt gerade von einem Treffen mit Ole (Thomas Gullestad), einem nicht lange geschiedenen Mann, der ihr gefällt, aber mit dem sie sich keine Beziehung vorstellen kann.
Bei einer Fahrt mit der Fähre lernt Tor via der Dating-Sex-App Grindr wiederum Bjørn (Lars Jacob Holm) kennen, einen älteren Mann, der kein Interesse an Sex hat. Eine Aussage, die Tor fasziniert, erst recht, nachdem er Bjørn zufällig im Krankenhaus wiedersieht. Langsam entwickelt sich zwischen den Männern eine intime Nähe, die völlig losgelöst von Fragen des Sex oder einer Beziehung scheint, während Marianne sich in Formen der Sexualität ausprobiert, die nach konventionellen Maßstäben eher als homosexuell definiert werden.
Ein weiterer markanter Schauplatz von "Oslo Stories: Liebe" ist das Rathaus der Stadt, ein markanter modernistischer Bau direkt am Hafen, geprägt von Figurengruppen, die unterschiedliche Typen repräsentieren. Hier versucht eine Freundin Mariannes eine Veranstaltung zu einem Jubiläumsfest zu organisieren, die auf reichlich plakative Weise betonen soll, wie progressiv Norwegen doch sei.
Genau diese Freundin war es auch, die Marianne mit Ole verkuppeln wollte und sich nun wenig begeistert zeigt als Marianne berichten, nur Sex von Ole zu wollen. In der Theorie progressiv zu aggieren ist eben doch etwas ganz anderes, als auch gegenüber Freundinnen ähnlich offen zu sein. Ganz beiläufig umkreist Dag Johan Haugerud sein Thema, versteckt in den langen Dialogszenen kleine, unterschwellige Erkenntnisse und Wahrheiten. Leicht wirkt der Film, der im warmen Licht der Augustsonne spielt, die die Ecken und Kanten der Stadt besänftigt und leicht übersehen lässt, wie genau Haugerud seinen Film konstruiert hat.
Dass er eher von der Literatur als vom Kino kommt, dass seine Stärke eher die Worte als die Bilder sind lässt sich nicht bestreiten. Alle drei Filme seiner "Oslo Stories" sind sehr redselig, geprägt von langen Dialogpassagen, weniger von markanten Bildern. Doch die Genauigkeit seiner Beobachtungen, die Komplexität der Figuren und der Emotionen lässt dieses Manko vernachlässigenswert erscheinen. Was Haugerud hier über Beziehungen und Begehren, Sex und Liebe erzählt wirkt höchst aktuell, progressiv und weit weg von konventionellen Blicken auf hetereo- und homosexuelle Beziehungen.
Michael Meyns (programmkino.de)